Jochem Hendricks

(BJ.Blume für J. Hendricks), 2002
Bernhard Johannes Blume

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Es gibt Künstler, die produzieren primär Objekte für einen Markt, sekundär fallen womöglich auch einige Gedanken ab; und es gibt andere, die produzieren primär Einsichten und Erkenntnisse; die dabei anfallenden ästhetischen Relikte dürften sich weniger gut verkaufen lassen; ihr kommunikativer und gedanklicher Nutzen ist jedenfalls wesentlich größer als ihr akuter Marktwert. Das trifft auch zu auf die künstlerischen »MehrWert«-schöpfungen des in Frankfurt / Main zwischen Börsenzentrum und Degussa lebenden ›Konzept-künstlers‹ Jochem Hendricks. Der ruhige und bedachtsame Mann ist sich des Dienstleistungs- und Warencharakters seines Kunstwollens- und -wirkens nicht nur ausdrücklich bewußt , – etwa im Sinne Theodor Adorno‘s , daß auch Theorien und Kunstwerke im Laufe des 20. Jahrhunderts Handelsgüter und Dienstleistungen geworden sind, die sich als solche auf die allgemeinen Markt- und Kommunikationsbedingungen einlassen müssen… in seinen Arbeiten ist darüberhinaus evident, daß er die Bedingungen des Kunst- und Kommunikationsmarktes selbeigentlich zum Thema und Gegenstand seiner künstlerischen Methode gemacht hat. Seine Arbeit ist in einem ausdrücklichen und zugleich kritischen Sinn – wie man heute sagt –, Kontext- und System-bezogen.

Man kann sicher einwenden, welche Kunst, die ihre auratischen Verluste im System noch reflektiert, wäre das nicht? Im Falle der Kunstarbeit von Jochem Hendricks jedenfalls ist es so, daß gerade auch die Relikte seiner ästhetischen Subversion einer Fetischbildung ganz deutlich widerstehen, indem sie gewissermaßen ihre Ästhetizität zugleich behaupten und – ironisch – unterlaufen. Und gerade solche Angebote ästhetischer und reflexiver Rezeption sind ja im paradoxen Ergebnis eine soziale Dienstleistung von besonderem Nutzen und Mehrwert.

Zum diesbezüglichen Erlebnis- und Erkenntnisnutzen kann es deswegen auch gehören, daß die Manifestation verschiedener , zumeist dys-funktionaler Eingriffe des Künstlers in die ›Alltagswelt‹ außerhalb ihres normativen Kontextes den intendierten ästhetischen und kommunikativen Nutzen sogleich verlieren.

Das erinnert durchaus an künstlerische Konzepte der 70er Jahre. Allzu eilig wurden jene ins Alltägliche ausgreifenden ästhetischen Strategien durch die in den 80ern manipulierte Malereischwemme marginalisiert. Bei Hendricks erfährt jener Geist ästhetischer Irritation und Subversion eine intelligente, generationsspezifisch wesentlich unaufgeregtere, gewissermaßen nonchalante Neufassung: Ich will das in aller Kürze mit 4 Arbeitsbeispielen belegen:

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Die Arbeit »Flash« etwa ist mehr als eine durch romantisch anmutende Fotos und Videos dokumentierte Provokation polizeilicher Observanz : Durch Losfahren bei roter Ampel über verschiedene Kreuzungen wurde der Sensor der jeweiligen Ampel-Blitzanlage zu einem Blitzlichtfoto ›provoziert‹. Seriell und annähernd zeitgleich aber blitzte der Künstler mit der eigenen Kamera durch die Windschutzscheibe seines Wagens hindurch in Richtung Ampel-Blitz zurück . Im provozierten Zu-Fall der Gleichzeitigkeit von Blitz und Gegenblitz wurde es aber nicht nur möglich, die visuelle Objektivierung der Ordnungsmacht zu überlisten, sondern wesentlich war, gegen die Objektivierungsmaßnahme der Ordnungsmacht zumindest für Sekunden den Status eines anarcho-illusionären Subjektes zu genießen. Wenn das nicht überdies eine ironische Replik auf die ›Freiheit der Kunst‹ ist!?
Eine andere, eingangs bereits angedeutete Ambivalenz des Ästhetischen zeigt sich in zwei Arbeiten, auf die ich verweisen möchte, weil sie noch deutlicher den spezifisch ironischen Duktus der Hendrickschen Kunstmethode kennzeichnen: »Tax« und »Schließfach«. Das kleine Skulpturenensemble »Tax« besteht aus drei handelsüblichen Goldbarren in »variablen Maßen«. Das numinose Gold dieser Skulptur ist nämlich – »nach Abzug aller Freibeträge und Betriebsausgaben für das Steuerjahr 2000 der verbliebene Jahresgewinn des Künstlers«. Eine kunst-magische ›Transsubstantiation‹ des zu versteuernden Gewinns in skulpturales Gold sichert diesen zugleich vor dem Zugriff des Finanzamtes: Der ambivalente Wert-charakter der Skulptur und damit ihr provokativer Sinn bleibt natürlich nur solange erhalten, solange ihr die alchemisch-ästhetische Aura als Kunstwerk zueigen ist, dh. solange von der Rücktauschmöglichkeit in bares Geld realiter kein Gebrauch gemacht wird: Im steuerpflichtigen Fall des Rücktausches würde sich nicht nur der Jahresgewinn erheblich verringern, sondern auch der System-und
Zirkulations-kritische, also der kommunikative Nutzen der Skulptur würde sich in säkulare Luft auflösen…
Eine vergleichbare Arbeit ist »Schließfach« von 1998. Sie war sowohl für ein ästhetisches, – kantianisch gesagt – für ein »interesseloses Wohlgefallen« konzipiert, spielte aber auch mit dem Interesse am realen Geldwert der sichtbar im Schließfach deponierten Kleingeldmenge. Der ›ideale Rezipient‹ dieser Installation war dann in der Tat jener Schließfachräuber, den die Ambivalenz von Aura und Geldwert nicht nur ästhetisch interessierte , sondern der diese Ambivalenz schließlich zugunsten des Geldwertes vereindeutigte , dh. das »Schließfach« leer räumte. Der Künstler nahm es hin, denn der ›Rezipient‹ realisierte nichts anderes als ein ›ästhetisches‹ Konzept.

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Es gibt natürlich mehr und andere Arbeiten, durch deren Ambivalenz und Ironie es Jochem Hendricks gelingt, unsere eingefahrene Wahrnehmung im Gegensinne reflexiv zu machen. Als Beispiel nenne ich seine vielfache Arbeit mit dem sogenannten »Eye Tracker«. Dieser komplexe, in neurologischen Kliniken eingesetzte Automat verfolgt über eine Infrarot-Videokamera die Augenbewegungen des Patienten beim Betrachten und Wahrnehmen diverser Gegebenheiten und dokumentiert sie als grafisches Lineament auf verschiedenen Perpherien. Der Neurologe lokalisiert anhand von Sequenz, Struktur und Dichte der dokumentierten Bewegungsspur etwa Ausfälle bestimmter Hirnareale bei sogenannten »Neglect«-Patienten. Der Künstler aber konfrontiert den Benutzer seines »Active Eye Tracker« über ein Objektivierungsspiel nicht nur mit der eigenen Sehapparatur, sondern zugleich mit dem existentiellen Paradox einer prinzipiellen Nicht-reduzierbarkeit seiner Subjektivität auf‘s Objektive.