Jochem Hendricks

Fiskalalchemie, 2012
Jochem Hendricks im Gespräch mit Harald Schif

Jochem Hendricks im Gespräch mit dem Steuerberater Harald Schif

Jochem Hendricks: Harald, du bist ein erfahrener Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, betreust Firmen und private Vermögen, aber du interessierst dich genau so für Kunst, sammelst seit langer Zeit und hast unter deinen Klienten auch viele Künstler. Was dachtest du, als ich das erste Mal zu dir kam mit meinen fiskalischen Überlegungen? Als ich die Idee hatte, für meinen Gewinn aus diesem Jahr Goldbarren als Material für eine neue Skulptur zu kaufen, meine Steuerleistung also in Kunst zu verwandeln?

Harald Schif: Du hast ja mit deiner Idee damals die Frage gestellt: Kann ich meinen diesjährigen Gewinn durch die Schaffung eines neuen Kunstwerks so anlegen, dass ich keine oder nur eine minimale Einkommensteuer zu zahlen habe? Die Antwort lautet: Ja. Du musst als freischaffender Künstler deinen Gewinn nach dem Prinzip Einnahme abzüglich Ausgabe ermitteln. Wenn du zum Beispiel eine materialintensive Skulptur planst, kannst du alle benötigten Materialien noch in diesem Jahr beschaffen und zahlen, sie vermindern dann deinen Gewinn und du zahlst weniger Steuern. Das nennt man Gewinnverlagerung.

Jochem Hendricks: Macht es für das Finanzamt keinen Unterschied, welcher Art das abzuschreibende Arbeitsmaterial ist, das sich in Kunst verwandelt? Nehmen wir beispielsweise den Luxus Avatar, der mein ganzes Leben lang mit meinen eingesparten Steuerleistungen eine parallele Existenz im Luxus führen soll – solange ich genug verdiene. Wie dürfen wir uns die Haltung der Finanzämter in dieser Sache vorstellen? Liegt deren Akzeptanz nur daran, dass der Staat keine ästhetische Diskussion führen kann?

Harald Schif: Ich verstehe diese Frage so: Du nimmst denjenigen Teil deines Gewinns, den du nicht zum Leben brauchst, kaufst zur Schaffung z.B. einer Skulptur, deren Grundmaterial wertvolles Edelmetall und/oder Edelsteine sind, alles oder einen Teil des benötigten Materials ein, das du vom Gewinn absetzt und damit deine Steuerlast milderst. Ist das von dir zu schaffende Kunstwerk so ausgerichtet, dass es ein über viele Perioden entwickeltes Lebenswerk sein soll, kann selbstverständlich eine Vielzahl von Gewinnen re-investiert werden. Da ein Künstler nicht an betriebswirtschaftlichen Fragen und mit solchen Massstäben gemessen werden kann, stellt sich die Frage nicht aus der Ästhetik, sondern nur aus der fantastischen Zielvorgabe eines künstlerischen Gesamtwerkes. Allerdings darf dieses künstlerische Gesamtwerk kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sein, sondern nach Epikur «ein Werk geschaffen von einem Menschen für und zum Wohlgefallen seines Nächsten», das den geistigen und seelischen Geschmack befriedigen und unser Sein veredeln kann.

Jochem Hendricks: Was geschieht, wenn ein Sammler sich entschliesst, den Luxus Avatar zu kaufen, der ja auf meine Lebensdauer angelegt ist? Ich werde den Avatar also immer weiter ausstatten mit Objekten, die der Sammler immer wieder kaufen muss? Ergibt sich daraus nicht ein Schneeballeffekt?

Harald Schif: Unterstellen wir, dass dein Avatar ein mehrere Perioden und mehrere Objekte umfassendes, auf ein Gesamtkonzept ausgerichtetes Kunstwerk ist und dass ein Sammler oder ein Museum sich entschliesst, dieses Werk bereits vor seiner Vollendung zu kaufen: Dann hast du zunächst eine Einnahme für das bisher Entstandene und generierst zugleich Einnahmen für künftig Entstehendes. In dem Jahr des Verkaufs findet die bisher aufgeschobene Gewinnrealisierung statt. Das heisst, es tritt bei dir der Zeitpunkt ein, den man als «Ende der Steuerstundung» bezeichnet; die aufgeschobenen Steuern werden also fällig.

Jochem Hendricks: Hier muss ich noch einmal nachhaken. Hat der Kauf des Avatar steuerlich Auswirkungen für den Sammler? Und welche ergeben sich für den Künstler?

Harald Schif: Im Allgemeinen gilt, dass das Sammeln von Kunst «Liebhaberei» ist. Du kannst also keine Abschreibung vornehmen, denn der Fiskus geht davon aus, dass ein Kunstwerk im Wert steigt. Solange es in Deutschland keine Vermögenssteuer gibt, spielt sich steuerlich beim Sammler nichts ab. 

Anders beim Künstler. Beabsichtigt dieser, ein Werk mit offenem Ende zu schaffen, kann er zumindest einen Teilbetrag des beim ersten Zustand erzielten Überschusses wieder in die nächste Werkphase investieren und dadurch den Überschuss minimieren. Allerdings kann das Finanzamt in einem solchen Fall die Dokumentation der Materialverwendung und deren «Weiterverarbeitung» fordern, dies vor allem, weil es sich nach deinen Aussagen um Luxusgegenstände handelt. Hier muss ausgeschlossen sein, dass die Gegenstände –
auch nur temporär – für andere als Installationszwecke verwendet werden oder werden können. In einem solchen Fall könnte die Finanzverwaltung einen Missbrauch bürgerlich rechtlicher Gestaltungsformen zum Zwecke der Steuereinsparung sehen und das ganze Projekt zu Fall bringen.

Jochem Hendricks: Dann bin ich gespannt, wie es weitergeht.