Jochem Hendricks

Hybrid, 2020
Jochem Hendricks

Vortrag in der DZ Kunstsammlung, 6. März 2020 beim Symposium: Licht ins Dunkel, Wohin entwickelt sich die künstlerische Fotografie?

Publiziert in EIKON #112, Wien, November 2020, Seiten 69–69

Was ist künstlerische Fotografie? Die Erzeugung von Bildern, die für sich selbst stehen, mit fototechnischen Mitteln. Was unterscheidet ein künstlerisches Bildwerk von anderen Bildern? Letztlich seine Autonomie. Auch wenn das keine wirklich befriedigende Auskunft ist. Wir stehen hier vor der generellen Frage nach der Unterscheidung des Kunstwerks von dem, was wir Realität nennen. Da gibt es keine abschliessenden Antworten.

Ich bin kein Fotograf, allerdings benutze ich Fotografie selbstverständlich in meiner künstlerischen Arbeit, manchmal auch als das spezifische Medium und sehr umfangreich, innerhalb einer hybriden künstlerischen Gemengelage. Künstler leben in derselben Medienrealität des Foto- und Video-Overkill wie jeder andere auch. Fotografieren ist so einfach geworden, dass es als direktes Produktionsmittel selbstverständlich in den Arbeitsprozess einfliesst. Gleichzeitig sind die Anforderungen an den Künstler in der Fotografie komplexer denn je. Das eine vollkommene Bild, den genialen Schuss gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach bereits, irgendwo in der Kunstgeschichte, in einem Archiv oder in den unendlichen Weiten des Internet. Es bedarf strategischer und formaler Mittel, um zu einem überzeugenden Werk zu kommen. Deshalb wird die Gattung Fotografie aber nicht aussterben, warum auch? Nur die Ränder werden unschärfer und das eindeutige Gattungsterrain wird enger. Medienspezialisten wird es in der Kunst immer geben. Die Malerei schlägt sich schon seit 100 Jahren mit dem Problem der Gattungsdefinition und der Autorisierung herum, weil auch hier die Grenzen weich geworden sind, mittlerweile sind sie verflossen. Überwältigende Resultate lassen sich aber auch auf dem kleinsten Boden erzielen, das ist, wie immer, abhängig vom Autor. Mir fällt allerdings auf, dass die orthodoxen Spezialisten ihrer Gattungen zur Dogmatik neigen, und mir persönlich ist alles Doktrinäre ein Gräuel. Ich bevorzuge den Hybrid.

Für meine eigene künstlerische Arbeit spielen solche Bestimmungen und Grenzziehungen ohnehin keine Rolle, in keiner Technik, Gattung oder Disziplin. Für mich ist ALLES Material, das für meine Produktion potenziell in Frage kommt. Da meine Herangehensweise bei der Entwicklung meiner Projekte ohnehin inhaltlich bestimmt ist und das Formale sich am besten von alleine ergibt, besteht irgendwie logischerweise eine Tendenz zum Medienübergreifenden und gerne auch zur Kooperation mit Disziplinen ausserhalb des Kunstkontextes. Wohl deshalb sind meine Resultate meist Hybride, die nach gängigen Kriterien regelmässig nicht so ganz genau wie Kunstwerke aussehen. Sind sie aber, erzeugt mit kunstspezifischen Methoden, Kriterien, Strategien und Haltungen im Angesicht der alten Kinderfragen nach unserer Existenz: Was ist der Mensch? Was ist die Welt? Warum sind wir so, wie wir sind? Was ist Realität? Warum ist alles so teuer? Und was bedeutet das eigentlich alles?

Auch die Frage nach der paradoxen Logik des Bildes ist nur ein weiteres Detail in diesem Zusammenhang und eine Umformulierung des uralten Bilderstreits, der in der Kunst immer ein wesentliches Element ist. Früher stritt man sich darüber, ob das gemalte Abbild Jesu tatsächlich der Erlöser ist oder nur ein Symbol oder ob der Wein der Eucharistie tatsächlich das Blut des Herrn ist. Heute diskutieren wir Fake News und Alternative Fakten. Der akute Verfall der Diskursfähigkeit ist allerdings verstörend. Glaube und Wahrheit sind sich ausschließende Begriffe. Letztlich steht und fällt die Akzeptanz einer Aussage mit der Glaubwürdigkeit ihres Inhalts und ihres Autors – und der Macht der eigenen Wünsche. Die verrückte Idee, dass es die eine Wahrheit gibt, die man erforschen und beweisen, sozusagen offenlegen kann, ist wesentlich unserem westlichen, wissenschaftlichen Weltbild geschuldet und bringt uns zwar auf den Mond, aber nicht zur objektiven Erkenntnis. Die Quantenphysik hat das verstanden. Auch die gerade wieder aktuelle politisch-moralische Ideologisierung der Kunst und damit auch der Fotografie ist ein Irrtum und zielt zu kurz, weil Kunst keinen moralischen Kriterien unterliegt und KünstlerInnen eben nicht identisch sind mit ihren Werken. Und die Benennung der Guten und der Bösen ist schlichtweg banal. Das ist kein Plädoyer für den Elfenbeinturm! In meiner Produktion spielen die Fragen nach Wahrheit und Glauben, nach Vertrauen und Manipulation seit jeher eine grosse Rolle. Sind die „6.128.374 Sandkörner“ ehrlich gezählt? Sind die Objekte und Materialien des „Maxisockel“ tatsächlich gestohlen? Basiert der „Luxus Avatar“ wirklich auf Steuerumgehung?

Sind fotografische Bilder wahr? Natürlich sind sie das, auch wenn sie nicht Wahrheit abbilden, sind sie reale Objekte und Bildwerke in sich selbst, die das zweifelhafte Verhältnis zur Realität mit allen Künsten teilen. Deshalb kann ein Künstler, der kein Fotograf ist, sehr gut mit Fotografie arbeiten, wie dies umfangreich im „Revolutionären Archiv“ der Fall ist, bei dem ich ein echtes Polizeiarchiv in Zusammenarbeit mit einer veritablen Terroristin auswerte, bis über ihren Tod hinaus.